Performing Lectures Eine Reihe von Unfriendly Takeover
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Janine Hauthal
Ein „Blick von der Seite“: Die Lecture Performance als Vortragslabor
And maybe theory is biography, presenting it is a lecture,
doing a lecture is performing. Thank you for your attention.
I’d be glad to answer any questions you might have.
(Xavier Le Roy)
Mit diesem Zitat als Leitspruch
veranstaltet Unfriendly Takeover seit Juli 2004 die Reihe „Performing Lectures“
im atelierfrankfurt. Kuratiert von der seit sechs Jahren aktiven Gruppe, die nach
dem namensgebenden Prinzip des ‚takeover‘ schon verschiedenste Veranstaltungen
an wechselnden Orten, jedoch stets an der Schnittstelle von Kunstgattungen,
Veranstaltungsformaten oder Szenen durchgeführt hat,
entspringt auch die Idee der Lecture Performance-Reihe dem Interesse an
gattungsüberschreitenden Arbeiten und Formaten. Im Rückblick auf mehr als zwanzig
Lecture Performances von Künstlern aus den Bereichen Tanz, Theater, Musik,
Performance Art und Bildender Kunst geben die folgenden Ausführungen einen
(wenngleich notwendig vorläufigen) Überblick über das reflexive Potential
des im Zwischenbereich von Wissenschaft und Kunst angesiedelten
performativen Theorieformats.
Der Fokus liegt dabei weniger auf dem reflexiven Potential der Lecture Performance
im Hinblick auf die Performance,
als vielmehr auf dem ‚Blick von der Seite‘, den die Lecture Performance auf
diejenige Form der Wissenschaftskommunikation erlaubt, die in
der Geschichte der Wissenschaft und ihrer Popularisierung eine
zentrale Rolle gespielt hat: den Vortrag.
Die Ankündigung eines Blicks von der
Seite geht auf Dieter Merschs Entwurf einer ‚negativen Medientheorie‘
zurück.
Mersch zufolge stehen Medien im Verdacht, überall und jederzeit präsent zu
sein, sich aber dennoch nicht zu zeigen. Vielmehr verweigern sie sich der Analysierbarkeit
aufgrund ihrer spezifischen Undurchdringlichkeit: „Denn indem ‚Medien‘ etwas
zeigen, vorführen oder repräsentieren, verbergen oder verdecken sie zugleich
das komplette Feld ihrer Herkunft und Produktionsbedingungen“ (S. 2).
Das genuine Paradox des Medialen liegt in seiner vermittelnden Struktur, denn
„[k]eine Vermittlung vermag ihre eigenen […] Materialitäten und Strukturen
mitzuvermitteln“ (S. 3). Daraus folgt für Mersch, dass das Mediale nur aus
einem „Blickwinkel von der Seite her“ (S. 4) anhand „querlaufende[r]
Performanzen und Unterbrechungen“ (S. 7), an Bruchstellen und Dysfunktionalitäten,
untersucht werden kann, deren Vorbild künstlerische Interventionen
sind.
Künste können Medien sowohl thematisch als auch formal reflektieren. Als paradigmatisches Verfahren für eine formale Reflexion des Medialen in der Kunst führt Mersch die Anamorphose an. Die Anamorphose trägt in ein zentralperspektivisch strukturiertes Bild ein weiteres Bild ein, das jedoch erst aus einem bestimmten Blickwinkel oder mit Hilfe eines Spiegels, von der Seite her also, betrachtet werden kann. Ein bekanntes Beispiel für eine solche Anamorphose ist Hans Holbeins Gemälde Die Gesandten (1533),
das mit der anamorphotischen Repräsentation eines Totenschädels eine
Kippfigur ins Bild einträgt, die sich erst aus einem Winkel von 27° zeigt. Die paradoxe Figuralität der Anamorphose besteht darin, dass sie, „indem sie nichts zu zeigen scheint, zugleich auf die Medialität der Bildkonstruktion zeigt“ (S. 11) und sich in der Kippbewegung so das verborgene Mediale der Darstellung
offenbart.
2.
Auch das Mediale des Vortrags, das gerade nicht in seiner schriftlichen Fixierung als Manuskript, sondern in seiner Performance besteht, generiert ‚Präsenzeffekte‘.
Anders als die Vorlesung, die vornehmlich Wissen vermittelt, liegt die
Funktion des Vortrags in der Produktion von Evidenz, im ereignishaften
Hervorbringen des Wissens. Da sich die Evidenzproduktion in der
einmaligen, transitorischen Vortragsperformance zwischen Redner und Zuschauern
ereignet und somit auf der Herstellung einer face to face-Kommunikation basiert, sieht sich die Vortragsforschung mit dem transitorischen Charakter ihres Untersuchungsgegenstandes und dem Problem seiner Verfügbarkeit konfrontiert. Die performative Evidenzproduktion des Vortrags entzieht sich ihrer Analysierbarkeit jedoch vor allem auch deshalb, weil die ‚Kunst der Demonstration‘ im wissenschaftlichen Vortrag zumeist verborgen bleibt.
Warum gerade die Lecture Performance dazu geeignet sein könnte, die performative Medialität des Vortrags durch einen
Blick von der Seite zu erhellen, wird deutlich, wenn man sich ins Gedächtnis
ruft, was sie definiert. Bei der Lecture Performance handelt es sich zunächst
um eine „inhaltliche, argumentative und belehrende Rede […], die in der Regel
von einer Person an mehrere Zuhörer gerichtet wird“ ;
kurz: um einen Vortrag. Da sich der Vortrag zugleich aber „mit einer
künstlerischen Performance, also einer Darstellung oder Darbietung
überkreuzt“ ,
kann die Lecture Performance genauer als „hybride[r] Vortrag“
definiert werden. Aufgrund des sie kennzeichnenden Spannungsverhältnisses
zwischen Vortrag und Darbietung generiert die Lecture Performance im
Betrachter eine anamorphotische Kippbewegung zwischen den Referenzbereichen
‚Lecture‘ und ‚Performance‘. Durch die Kreuzung von Lecture und
Performance wird somit das Performative, die Kunst der Demonstration,
als Medialität des Vortrags von der Seite her beobachtbar.
3.
Bevor das reflexive Potential der
Lecture Performance anhand einer Beispielanalyse konkretisiert wird, gilt
es zunächst, die verschiedenen Relationsmöglichkeiten von Lecture und
Performance, die sich häufig auch im jeweiligen räumlichen Setting der Lecture
Performances manifestieren, zu skizzieren. Es können vorläufig fünf Formen
differenziert werden: 1. die Performance als Lecture, 2. die
Parallelisierung, 3. die Montage, 4. die Vermischung sowie 5. die gegenseitige
Unterwanderung von Performance und Lecture.
(1) Die Performance als Lecture umfasst Lecture Performances, in
denen Künstler die Position von Wissenschaftlern einnehmen und eine
Lecture halten, indem sie die Konventionen eines wissenschaftlichen
Vortrags vornehmlich kopieren. Die Imitation ‚naturalisiert‘ das Verhältnis der
Künstler zum wissenschaftlichen Diskurs. Vortragsforschung findet
allein durch die kontextuelle Verschiebung der Rahmung von der Wissenschaft
zur Kunst statt, die dazu führt, dass Elemente, die beim Hören eines Vortrags
im wissenschaftlichen Kontext vielleicht nicht wahrgenommen werden
– der Körper des Vortragenden beispielsweise, seine Stimme, die
Dramaturgie des Vortrags u.a. – in den Vordergrund treten. Dazu kann
zusätzlich beitragen, dass die wissenschaftliche Autorität eines Künstlers
weniger ausgeprägt ist; allerdings können diese ‚Autoritätsdefizite‘
durchaus kompensiert werden, etwa wenn Künstler über eigene Arbeiten sprechen.
Lecture Performances dieser Art wären beispielsweise David Weber-Krebs’ „The
Consequence of Infinite Endings“ (17.03.2005, Mousonturm Frankfurt), Stefan
Kaegis „V.l.n.r. – Gruppen von Gruppen“ (14.08.2005, atelierfrankfurt)
oder Jerôme Bels „The Last Performance – A Lecture“ (02.10.2005,
atelierfrankfurt). Mitunter wird der aufgerufene wissenschaftliche
Rahmen durch die Wahl des Gegenstandes und seine Analyse (wie die Kategorisierung
von Gruppenbildern bei Stefan Kaegi) subjektiviert und so an seine
Grenzen geführt. Die
Ersetzung des performativen Rahmens durch den der Lecture
zeigt sich in der räumlichen Anordnung häufig daran, dass der Vortrag von einem
Ort aus erfolgt (vorzugsweise einem Tisch mit Mikrophon und
Wasserglas), den der Sprecher nicht verlässt.
Arbeiten der zweiten Kategorie der (2) Parallelisierung von Performance und Lecture nutzen das Transformationspotential der Lecture
Performance, das verschiedene Formate künstlerischer Arbeiten ineinander
übersetzbar macht und deren Überführung in eine Live-Präsentation
ermöglicht. Die Parallelisierung der Referenzbereiche von Lecture und
Performance manifestiert sich erneut auch räumlich: Aktionen finden
zumeist in der Fläche des Raumes statt; auf dessen Rückwand hingegen werden
Dokumentationen vergangener Arbeiten projiziert. Während Jürgen Fritz
in seiner Lecture Performance anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Gruppe
Black Market (10.11.2005, atelierfrankfurt) stumm agiert und die Tonspur der
projizierten Ausschnitte akustisch dominiert, nimmt das britische Performanceduo
Lone Twin in „Walk With Me Walk With Me Will Somebody Please Walk With Me“
(24.03.2006, Städelschule Frankfurt) immer wieder Bezug auf das im Raumhintergrund
im Schnelldurchlauf erscheinende Filmbild, das sie in regelmäßigen
Abständen anhalten, um das Gezeigte zu kommentieren. Ähnlich wie die
Performance als Lecture nutzen und
dehnen auch die parallelisierenden Lecture Performances das Vortragsformat
eher, als dass sie es kommentieren oder brechen.
Neben diesen Lecture Performances
gibt es aber auch solche, in denen eine Reflexion des Vortragsformats
durch das Alternieren und Oszillieren von Vortrags- und Performance-Anteilen
erfolgt. Daraus resultiert jedoch nicht notwendig eine Durchdringung der
beiden Referenzbereiche. So stehen bei der dritten Kategorie, (3) der Montage von Lecture und
Performance, beide Referenzbereiche einander gegenüber bzw. unterbrechen
sich. Die Trennung von Lecture und Performance spiegelt sich in der räumlichen
Anordnung: Vortrag und Aktionen werden zumeist an unterschiedlichen
Orten ausgeführt. Von dieser dritten Form lassen sich (4) Vermischungen von Lecture und Performance als vierte Form sowie
(5) die gegenseitige Unterwanderung
der beiden Referenzbereiche als fünfte Form unterscheiden. In den
Lecture Performances dieser beiden Kategorien erfolgt eine Dramatisierung
des Verhältnisses zum Wissen. Da an Lecture Performances der dritten
Kategorie das Verhältnis der beiden Referenzbereiche zueinander an Übergängen,
Schnittstellen und Brüchen besonders deutlich wird, fällt das im Folgenden
ausgewählte Analysebeispiel, die Lecture Performance „Product of Circumstances“
des zeitgenössischen Choreographen Xavier Le Roy von 1999 (05.05.2005,
atelierfrankfurt), in diese Kategorie.
4.
„Product of Circumstances“
entstand als Auftragsarbeit: Le Roy kam der von Kuratorenseite an ihn
gestellten Aufforderung nach, theoretische Zusammenhänge zwischen Biologie
und Performance aufzuzeigen, indem er in einer Lecture Performance seinen
Werdegang vom Doktorand der Mikrobiologie zum Tänzer und Choreographen
als persönlichen Erfahrungsbericht präsentierte. Nicht zuletzt aufgrund
seiner autobiographischen Entwicklung reflektiert Le Roy in
dieser Lecture Performance die ökonomischen Zwänge wissenschaftlichen
Arbeitens, die seinen Glauben an das Ideal wissenschaftlicher Objektivität
zunehmend erschütterten und die, wie er später feststellen muss, auch
künstlerisches Arbeiten determinieren und zu einem Kreislauf aus
Antragstellung und Produktpräsentation machen.
Die drei zentralen Gestaltungselemente
der Lecture Performance lassen sich verschiedenen Bereichen des Bühnenraums
und wechselnden Lichtstimmungen zuordnen: 1. Die chronologische
Präsentation des Werdegangs sowie die explizite Infragestellung
des Wissenschaftsbetriebs erfolgen am Pult durch das neutral
gehaltene Vorlesen ausformulierter, zuvor schriftlich fixierter
Redepassagen, die im spezialisierten Vokabular des
medizinisch-wissenschaftlichen Diskurses gehalten sind. 2. Die
Erläuterungen der auf die Rückwand projizierten Tabellen und
Dias erfolgt in (scheinbar) freier Rede. Dabei entfernt sich Le Roy vom Pult
und steht im unbeleuchteten Bereich vor den Dias. 3. Die Detailerklärungen
der Dias und Tabellen sowie die Passagen am Vortragspult werden immer
wieder von Bewegungssequenzen in der Mitte des Raumes unterbrochen,
die zum einen Le Roys Fortschritte beim Tanzunterricht demonstrieren,
zum anderen ohne Rücksicht auf die Chronologie ihrer Entstehung
Zitate aus eigenen und fremden Choreographien vorstellen.
Betrachtet man die den Referenzbereich
der Lecture kennzeichnenden Passagen am Pult bzw. die Erklärungen
vor den Dias im Einzelnen, so sind Unterschiede zwischen einer wissenschaftlichen
und einer künstlerischen Vortragsweise kaum auszumachen. Einen
‚Blick von der Seite‘ eröffnen vielmehr erst die dem Referenzbereich
der Performance zugehörigen Bewegungssequenzen, welche die
Vortragsteile regelmäßig unterbrechen. Zu einer Vermischung
beider Referenzbereiche kommt es dabei nur in Ausnahmefällen,
z.B. wenn das Pult als stützende ‚Stange‘ für eine Ballettfigur fungiert.
Überwiegend stehen Lecture- und Performance-Teile einander gegenüber.
Aus Zuschauerperspektive führt diese Gegenüberstellung im
Verlauf der Lecture Performance dazu, dass die Referenzbereiche sich gegenseitig
beeinflussen und ihre Grenzziehungen durchlässig werden. In der
Folge nähern sich die wissenschaftlichen Evidenztechniken der
projizierten Dias und Tabellen sowie die künstlerischen Bewegungsdemonstrationen
einander an.
So sind die Bewegungssequenzen
zwar einerseits in die autobiografische Argumentation
des Vortrags eingebunden (etwa wenn Le Roy seine Körperproportionen
demonstriert und als Grund für das anfängliche Ausbleiben von Tanzengagements
anführt). An anderer Stelle fungieren die Bewegungssequenzen hingegen als
Störungen und Unterbrechungen des Vortrags und seiner Evidenzproduktion,
etwa wenn die Bedeutung bzw. der ‚kommunikative Nutzen‘ der Zitate aus eigenen
und fremden Choreographien unkommentiert bleibt. Darüber hinaus kann die
Evidenzproduktion der Bewegungssequenzen im Vergleich zu den Vortragsteilen
der Lecture Performance sogar überlegen wirken und dann die Evidenzproduktion
der Rede in Frage stellen: So authentifizieren die Bewegungssequenzen
Le Roy als Tänzer und Choreograph, indem sie seine professionelle Körperbeherrschung
und -ausbildung augenfällig machen. Der Evidenzcharakter der wissenschaftlichen
Beweisführung mit Dias von Experimenten und Tabellen hingegen erweist
sich als schwächer, wenn – wie verschiedentlich überliefert
wurde – Zuschauer in der sich an die Performance anschließenden Fragerunde
die ‚Faktizität‘ seiner mikrobiologischen Studien in Zweifel ziehen.
Das Verhältnis von Lecture und
Performance in „Product of Circumstances“ ist folglich ambivalent: Die
Techniken der wissenschaftlichen und tänzerischen Demonstration
stabilisieren und destabilisieren sich zugleich. Indem Le Roy seinen
Körper einsetzt, zeigt sich dessen zentrale Stellung in der Vortragsperformance,
zugleich aber dessen Potential, die Evidenzproduktion der Rede zu stören
und zu unterlaufen. Umgekehrt aber wird die Authentizität des Körpers
durch seine Einbindung in die Evidenzproduktion des Vortrags untergraben:
Wenn nämlich Le Roy in den Bewegungssequenzen seine Tanzfortschritte
demonstriert, so integriert dies zugleich ein fiktionales Element in
die Performance, da der tänzerisch voll ausgebildete Körper auch
Phasen von Le Roys Entwicklung zum Tänzer beglaubigt, in denen sein Körper
kaum bzw. nur durch Basketball trainiert war. So heißt es
etwa im Skript zur Performance: „My
hands don’t get closer than 20 cm from the floor, like it was in 1987.“ Die Veränderlichkeit des Körpersstellt diesen mit den ebenfalls in ihrer
Authentizität nicht überprüfbaren visuellen Dokumenten der Dias und Tabellen gleich. Die Bewegungszitate Le Roys verlieren so ihren
performativen Status und werden zu einer Lecture – zum ‚Vortrag‘ einer
Bewegung.
An ihnen zeigt sich somit, wie der Körper des Vortragenden entscheidend an
der Produktion von Evidenz mitwirkt, zugleich aber in dieser transparenten,
funktionalen Rolle als Kommunikationsmedium nicht aufgeht.
5.
Die Ambivalenzen, die „Product
of Circumstances“ auf struktureller Ebene charakterisieren und die die
Vortragsteile in eine Performance bzw. die Bewegungsdemonstrationen
in eine Lecture transformieren, werden auch im Zuge einer Fokussierung
der Entwicklungsgeschichte dieser Lecture Performance auf das
Spannungsverhältnis von Lecture und Performance deutlich. Indem Le Roy
seine Arbeit seit 1999 wiederholt präsentiert hat, wurde die Lecture mehr
und mehr zur Aufführung im Sinne einer Aktualisierung eines vorgängig
schriftlich fixierten Skriptes. Zuschauer können dies an dem wachsenden Zeitraum
zwischen dem Ende der referierten Biographie (1998) und dem Zeitpunkt
der Aufführung erkennen, da Le Roy die Lecture Performance nicht ‚weiter‘
geschrieben hat, sondern unverändert ließ.
Das Paradox dieser Entwicklung
gipfelt darin, dass Le Roy das Skript seiner Performance veröffentlicht
und ihm kursiv gedruckte, instruktive Passagen hinzufügt, die wie die Didaskalien
eines Theatertextes nicht gesprochen werden sollen. Weist allein die
Existenz dieses instruktiven Textes darauf hin, dass es sich im Falle
seiner Aktualisierung um die Performance
einer Lecture, um die Aufführung eines
Vortrags, handelt, so lässt sich an diesen Instruktionen auch das
konstruktive Element festmachen, dass jeder Wissenschaftskommunikation
eignet. Interessanterweise schreiben diese Instruktionen nämliche gerade
das fest, was Vortragstexte in der Regel nicht schriftlich fixieren: die Vortragsperformance
– und dokumentieren zugleich die Unmöglichkeit dieses
Unterfangens. So geraten die Referenzbereiche von Lecture und Performance in der
schriftlichen Fixierung in ein solches Spannungsverhältnis, dass
sich eine Defiguration von Evidenz ereignet. Vielleicht erklärt dies auch,
warum eine Kopie der Performance durch andere zwar bislang aussteht, wohl aber
auf der Grundlage des Skripts bereits zwei Lecture Performances, Petra Sabischs
„Kontaminiert“ (27.01.2005, atelierfrankfurt) und Vera Knolles „I didn’t
mean do hurt you“ (05.01.2006, atelierfrankfurt) sich (zum Teil kritisch)
mit Le Roys Arbeit auseinandersetzen.
6.
Wenngleich die Aufmerksamkeit dieses
Beitrag vor allem den reflexiven Möglichkeiten der Lecture Performance im
Hinblick auf den Vortrag als Format des ereignishaften Hervorbringens von
Wissen und dessen Kommunikation galt, darf nicht vergessen werden, dass erst
die Vielzahl von Arbeiten, die im Anschluß an oder als Antwort auf Xavier Le
Roys „Product of Circumstances“ das Format der Lecture Performance aufgriffen
und von denen die 20 von Unfriendly Takeover im Rahmen seiner Reihe gezeigten
nur einen Teil ausmachen, das Interesse an diesem Genre generierte. Wenn
man von einer (wissenschafts-)theoretischen Perspektive
Abstand nimmt und die Lecture Performance aus der Sicht von Produzenten und
Rezipienten zu betrachten versucht, so sind möglicherweise
andere Aspekte für die Attraktivität des Formats relevant. Neben der
Möglichkeit, die eigene Arbeit und mit ihr die eigene Biographie
zu reflektieren, könnte ein Aspekt etwa darin liegen, dass bei Lecture Performances
auch das Sich-zur-Diskussion-Stellen Teil der Aufführung ist. Aufgrund der zum
Vortrag gehörenden Diskussion im Anschluß an die
Präsentation stellen Lecture Performances eine Kommunikationssituation
her, die die Grenze zwischen Zuschauer und Performer stärker minimiert
als beispielsweise die im Anschluß an Theaterproduktionen veranstalteten
Aufführungsgespräche, in denen Produzenten und Rezipienten in
dieser starren Rollenverteilung aufeinander treffen. Zudem
zeichnet sich der in Lecture Performances aufgerufene Vortragsrahmen dadurch
aus, dass sich ein Vortrag im Unterschied zur Vorlesung eher an ein bereits
über (Vor-)Wissen verfügendes Publikum wendet. Das implizite Ideal der
Lecture Performance einer Kommunikation zwischen Performer und
Zuschauer ‚auf Augenhöhe’, formuliert auch Le Roy am Ende seiner Lecture
Performance, wenn es in der ‚Regieanweisung’ im Anschluß an das als Motto
vorangestellte Zitat heißt: „I go to the
audience to answer their questions and try to change my position as relative to
the audience, so that I am not in front of them but within them.”
Das Format der Reihe ähnelt einer Versuchsanordnung, da das Sammeln von
Fallbeispielen in einer Reihe (auch beim Sammeln handelt es sich um ein
wissensgenerierendes Verfahren, wie Anke te Heesen und Emma C. Spary in ihrem
Aufsatz „Sammeln als Wissen“ [in: Sammeln
als Wissen. Das Sammeln und seine wissenschaftliche Bedeutung.
Hrsg. v. Anke te Heesen und Emma C. Spary. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht, 2001. S. 7-21] zeigen) implizit eine Definition der Lecture
Performance generiert. Wissenschaftlichen Verfahren gleichfalls nicht
unähnlich, wird die Reihe durch im Internet zugängliche und herunter ladbare
Videomitschnitte und Texte dokumentiert sowie von einem eigenen Theorie-Forum
begleitet.
Die Gleichstellung macht außerdem deutlich, dass Evidenz nicht aus der
Authentizität von Dokumenten resultiert. Vgl. auch die Lecture Performances von Walid
Raad und der Atlas Group („The Loudest Muttering is Over“, 2003;
„Civilizationally, we do not dig holes to bury ourselves“, 2003) oder die
Arbeiten Rabih Mroués.
Le Roy („Product“, S. 1) macht Angaben zur Struktur des Raumes, zur
Beleuchtung, zur technischen Ausstattung sowie zu den Requisiten und gibt Anweisungen
zur ‚wissenschaftlichen‘ Art des Textvortrags: „The text […]should be read as clearly as possible. The performance should [...] present each element as a matter of fact,
trying not to emphasize any of the aspects. Try to perform without irony,
sarcasm, romanticism, or any affect that could transform the facts. The
performance of each element should
stay as close as possible to fact.“
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