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Natürlich lässt sich keiner gerne ausbeuten. Und lässt's trotzdem immer wieder zu. Und natürlich beutet auch keiner die anderen gerne aus. Aber was soll's: Wo das Geld fehlt, wird nächtelang durchgearbeitet, bei der Arbeit heimlich farbkopiert, das Konto überzogen, werden Sympathien strapaziert, gegenseitig Hände gewaschen und schließlich jede Chance genutzt. Im Namen der Kunst, des Programms, der Subversion. Auch oder gerade die Subkultur lebt von der Ökonomisierung der Beziehungen.
Für das Projekt "Barspende" begibt sich UNFRIENDLY TAKEOVER zuerst in die Rolle des neutralen Forschers. Aus sicherer Distanz werden von einem beliebigen Faden aus die Hamburger Szenen aufgedröselt, nicht als langfristig angelegtes, soziologisches Forschungsprojekt, sondern als ungerechtes, subjektives Spiel (wie es die Szene selbst ja auch ist).
Welche Szenen gibt es, wo trifft man wen, welche Musik, welche Kunst, welche Performances muss man kennen - und welche sind tatsächlich gut? Wer kennt wen, wer kann wen nicht leiden und warum? Soziale Gemengelagen sind oft wirkmächtiger als künstlerische Positionen oder nüchterne kulturpolitische Erwägungen. Wer tut was für wen? Und wer kann was für uns tun?
Denn die Ökonomisierung des Kuratierens im subkulturellen Raum besteht schließlich nicht nur aus Sponsorensuchen, Förderanträgen, Eintrittsgeldern und Bierverkauf. Sondern ist vor allem eine Ökonomisierung sozialer Strukturen, deren Teil man üblicherweise zugleich selbst ist. Deshalb beharrt UNFRIENDLY TAKEOVER diesmal auf einer Beobachterposition und greift an Informationen ab, was zu bekommen ist.
Doch alles für einen guten Zweck. Denn UNFRIENDLY TAKEOVER spielt am Ende auch noch ROBIN HOOD. Es gilt für Gerechtigkeit zu sorgen, die Welt ins rechte Lot zu bringen!
Einem freien, kulturellen Projekt soll das Konto ausgeglichen werden - exemplarisch für die vielen, bei denen das Spiel von Fremd- und Selbstausbeutung wieder mal mit einem kräftigen Minus auf ihren Privatkonten endete.
Dazu wird UNFRIENDLY TAKEOVER fünf Nachmittage und einen Abend lang Hamburger Künstler, Veranstalter und Theoretiker einladen: Drei Nachmittage werden uns je ein Club oder eine Galerie mit ihrer Bar-Spende beim Geldsammeln unterstützen, indem sie ihre Theke für drei, vier Stunden in der Gründgensloge im Dt. Schauspielhaus aufbauen. Zwei weitere Nachmittage sind Gesprächen gewidmet.
Währenddessen geht die Recherche weiter: Szeneknotenpunkte, Orte und Personen werden von ihrem üblichen Kontext in der Gründgensloge isoliert, ausgestellt - und somit auch Altvertrauten eine neue Perspektive und eine Möglichkeit zur Selbstreflexion gegeben.
Künstler und Kuratoren als Ich-AG
Die Selbst- und Fremdausbeutung im kulturellen Bereich, wo ganze (auch etablierte) Institutionen von der Arbeit oft unbezahlter Mitarbeiter oder Praktikanten getragen werden, ist längst stilbildend für die neoliberale Ökonomisierung aller Wirtschaftsbereiche: Jeder soll sich und seine Kreativität verwirklichen, "sein eigenes Unternehmen gründen und sein Ding durchziehen: leben und arbeiten wie ein Künstler" (Angela McRobbie) - so kommt die Forderung nach Unabhängigkeit der Kunst und des Künstlers pervertiert als Boomerang mit dem Namen "Selbstständigkeit" zurück. Und bei wem's dazu nicht reicht, der soll wenigstens eine zentrale Lebensweisheit der Kreativen verinnerlicht haben: Der Weg ist das Ziel. "Der Lohn der Arbeit ist: die Arbeit" (Jan Verwoert). So führt unweigerlich die "Aufwertung der selbstbestimmten Arbeit unterm Strich zur forcierten Selbstentwertung der Arbeit."
Und weil ein einzelner Job, ein einzelnes Projekt zur Lebensfinanzierung selten ausreicht, wird die Fähigkeit zum Multitasking entwickelt. Kompromisse und Selbstausbeutung werden als Investitionen in die Zukunft betrachtet. Doch, so Verwoert, "dafür, dass sich diese Investition rentieren wird, gibt es keine Garantie." Im Gegenteil: "Die Generation der Engagierten läuft Gefahr, zur Generation der Angeschmierten zu werden, da sie auf eine Zukunft spekuliert, mit deren Eintreten nicht zu rechnen ist."
Gleichzeitig wirkt die generelle Knappheit von Ressourcen (die im subkulturellen Raum am größten ist) auch auf die Veranstaltungen selbst: Un- oder unterbezahlte Kuratoren und Veranstalter nutzen ihre Kontakte, um möglichst günstige Konditionen zulasten der Künstler auszuhandeln, während auch im Hinblick auf die Kunst selbst ökonomische und pragmatische Erwägungen dominieren.
Bewährte Strategien der kuratorischen (Selbst-)Ausbeutung sind Flirt-Strategien, das gegenseitige "Händewaschen", der Idealismus der Kunst um jeden Preis oder die Bezahlung in der Währung "Aufmerksamkeit", also das Versprechen, für eine möglichst große Öffentlichkeit (über Flyer, Postkarten, Mails, vor allem aber auch Presseresonanz) zu sorgen. Und so für eine größere Bekanntheit und damit für einen längerfristig höheren Marktwert.
Parallel wirken auf das Kuratieren die gleichen Gesetze des Marktes. So muss sich die Praxis der Auswahl vermittels "neuer", "marktfähiger" Schlagwörter (wie Gegenöffentlichkeit, Aktion, Prozess, Fragment, Netzwerk) prospektiv oder retrospektiv rechtfertigen. Bereits vor Beginn der eigentlichen Arbeit wird in Förder- und Sponsorenanträgen das Projekt im Sinne der (meist völlig willkürlich erscheinenden Richtlinien) in ein marktfähiges Konzept umgeschrieben und dadurch entweder der eigentliche Charakter entsprechend angepasst oder aber weitgehend fingiert. So ist es ein beliebtes Spiel der Institutionen nach jährlich wechselnden Schwerpunkten zu fördern: Mal Neues, mal Bewahrendes, mal bildende, mal performative Künste - wer einen anderen Rhythmus hat oder gar seiner Zeit voraus ist, hat schlechte Karten. Ebenso ist die genre-überschreitende, bzw. genre-ignorierende Arbeit oft in den einzelnen Förderschubladen nicht unterzubringen. Ähnlich rechtfertigen hinterher Pressespiegel oder andere Veröffentlichungen Entscheidungen im kuratorischen Prozess und überführen die eigene Praxis in eine kuratorische "Erzählung", die eher einem künstlerisch-wirtschaftlich-akademischen Rechenschaftsbericht gleicht. Mit der Ausbeute verbindet sich dann stets die Hoffnung, das nicht immer zu tun bzw. irgendwann nicht mehr tun zu müssen - vermeintliche Investitionen in die Zukunft.
Im Prozess der "Verszenung": Das Szenenetz als soziale Ausbeutungsstruktur
Doch eine solche Kombination von Selbst- und Fremdausbeutung ist nicht möglich ohne ein funktionierendes Netzwerk. Der Netzwerkgedanke dominiert unsere globalisierte Welt als Strukturmodell: Gehirn, Erinnerung, soziales Umfeld, effiziente Firmenstrukturen oder Aktienmärkte - alles Netzwerke. So sehen wir - mit Google - die Welt: Je mehr Leute auf uns verweisen, desto höher unser Markt- oder Szene-Wert. Da funktionieren Hoch- und Subkultur wenig anders als Vetternwirtschaften und old boys networks in Politik und Finanzwelt: als Beziehungsgeflecht.
Das neue Vergemeinschaftungsmuster "Szene" findet sich insbesondere im soziokulturellen Bereich. Die zunehmende Theatralisierung und Eventisierung des Alltagslebens steht dabei in direktem Zusammenhang mit der Entstehung von Szenen. Im Gegensatz zu traditionellen Gemeinschaftsformen sind "Szenen" oft multilokal und können sich überall etablieren, solange sie nur geduldet sind. Mit ihrem ausbalancierten Verhältnis von Intimität und Anonymität bietet die Identitätsform "Szene" außerdem eine Rückzugsmöglichkeit aus der Tyrannei der Intimität der modernen Massenmedien. Auch beugt Vernetzung einer Vermassung vor und ermöglicht den Zusammenschluss von Individuen, ohne dass diese ihre privaten Motive zugunsten eines gemeinsamen ideologischen Kompromisses aufgeben müssen.
Marketingexperten und Soziologen sprechen darum von der posttraditionellen Vergemeinschaftung als einem "Prozess der Verszenung" (Franz Liebl), der verstärkt klassische Gesellungsformen wie Familie, Verein, soziale und politische Bewegungen ergreift. Unterliegen alle klassischen Gesellungsformen einer schleichenden Verszenung? Und ist jede Szene zwangsläufig ökonomisiert?
Barspende
Für das Projekt "Barspende" versucht UNFRIENDLY TAKEOVER in einem ersten Schritt, einen Faden des Netzwerkes Hamburger Szene(n) in die Hand zu bekommen, um es von dort aus aufzudröseln. Immer aus sicherer Distanz, aber nicht als langfristiges, soziologisches Forschungsprojekt mit Vollständigkeitsanspruch, sondern als ungerechtes, subjektives Spiel (wie es die Szene selbst ja auch ist). Mit E-Mails, Telefonaten, Briefen und Gesprächen wird ein Schneeballsystem möglicher Kontakte und Informationen losgetreten. Wo man beginnt, ist egal - über sprichwörtliche fünf Ecken müsste man ja wohl mittendrin stehen in der Szene.
Netzwerke und Knotenpunkte erscheinen dabei wie Visualisierungen des GoogleBrowsers: Welche Szenen gibt es, wo trifft man wen, welche Musik, welche Kunst, welche Performances muss man kennen - und welche sind tatsächlich gut? Wer kennt wen, wer kann wen nicht leiden und warum? Soziale Gemengelagen sind oft wirkmächtiger als künstlerische Positionen oder nüchterne kulturpolitische Erwägungen. Wer tut was für wen? Und wer kann was für uns tun?
Denn die Ökonomisierung des Kuratierens im subkulturellen Raum besteht schließlich nicht nur aus Sponsorensuchen, Förderanträgen, Eintrittsgeldern, Bierverkauf und der obligatorischen Party im Anschluss. Die Ökonomisierung des Kuratierens ist vor allem auch die Ökonomisierung sozialer Strukturen, deren Teil man üblicherweise zugleich selbst ist.
Deshalb versucht UNFRIENDLY TAKEOVER diesmal nicht Teil zu sein, sondern Beobachter - da stellen wir uns mal ganz naiv. Die weiße Landkarte der Hamburger Szene füllt sich Stück für Stück, Mail für Mail. Jedwede Szenekompetenz, als ökonomischer Faktor längst anerkannt, wird ohne Gegenleistung angezapft, als weiches Kapital wie Freeware genutzt. Kein Gespräch ohne Hintergedankten.
Doch alles für einen guten Zweck: Denn UNFRIENDLY TAKEOVER spielt in Hamburg nicht nur den neutralen Forscher sondern am Ende auch noch Robin Hood. Es gilt - einmal wenigstens - für Gerechtigkeit zu sorgen, da ist kein Pathos zuviel: Eine knappe Woche lang, ökonomisiert UNFRIENDLY TAKEOVER die sozialen Szenestrukturen ausschließlich um die Welt ins Lot zu bringen: Einem kulturellen Projekt soll das Konto ausgeglichen werden, exemplarisch für die vielen, die an den Fremd- und Selbstausbeutungen naiv oder sehenden Auges gescheitert sind, und die mit einem kräftigen Minus auf dem Privatkonto ihrer, wie man in den subventionsfreudigen Achtzigern sagte: "ehrenamtlichen" Initiatoren endeten.
Dazu wird UNFRIENDLY TAKEOVER fünf Nachmittage und einen Abend lang Hamburger Künstler, Veranstalter, Theoretiker einladen, deren Existenz und Kontext mittels der Recherchen in den Wochen vorher erst in Erfahrung gebracht wurde: Drei Nachmittage werden je ein Club oder eine Galerie uns mit ihrer Bar-Spende beim Geldsammeln unterstützen, indem sie ihre Theke für drei, vier Stunden in die übernommene Gründgensloge im Dt. Schauspielhaus stellen. An zwei weiteren Nachmittagen wird dem Phänomen Verszenung und Selbstausbeutung in Gesprächsrunden theoretisch auf den Leib gerückt. Die Szene-Recherche von UNFRIENDLY TAKEOVER geht dabei weiter: Szeneknotenpunkte, Orte und Personen werden von ihrem üblichen Kontext gelöst und auf dem TAKEOVER-Territorium der Gründgens-Loge isoliert, ausgestellt - und somit auch Altvertrauten eine neue Perspektive und eine Möglichkeit zur Selbstreflexion gegeben.,
Am letzen Abend wird dann im Rahmen von "go create resistance" der noch fehlende Betrag zum Kontoausgleich des auserwählten Selbstausbeutungsopfers gesammelt.