"Barspende"
Ein Projekt in der Reihe "go create™ resistance"
In der Gründgensloge (Dt. Schauspielhaus Hamburg)
11. - 16. März 2003
UNFRIENDLY TAKEOVER ON TOUR

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Der Künstler als Ich-AG
und die Szene als Avantgarde der Wirtschaftlichkeit

Gespräch am Mittwoch, den 12. März, 15 Uhr
in der Gründgens-Loge (Dt. Schauspielhaus)

Nein, natürlich lässt sich keiner gerne ausbeuten. Und lässt's doch immer wieder zu. Und natürlich beutet auch keiner die anderen gerne aus. Aber was soll's: Wo das Geld fehlt, müssen Beziehungen herhalten. Im Namen der Kunst, des Programms, der Subversion. Auch oder gerade die Subkultur lebt von der Ökonomisierung sozialer Strukturen.

Die These, dass gerade die Selbst- und Fremdausbeutung im kulturellen Bereich stilbildend für die neoliberale Ökonomisierung aller Arbeitsbereiche war und ist, hat einiges für sich: Über Jahre hinweg wurden Wirtschaft und Politik immer personalärmere und flexiblere ökonomische Organisationsstrukturen vorgeführt - was zwar zu einer Selbstverständlichkeit der Ausbeutungsmechanismen aber nicht zu mehr Sicherheit führte. Denn gerade schlankere Strukturen (siehe das Podewil in Berlin oder das TAT in Frankfurt) sind weit einfacher zu verkleinern oder ganz abzuschaffen als beispielsweise schwerfällige Staatsopern mit hunderten von städtischen Angestellten. Gleichzeitig wirkt die generelle Knappheit von Ressourcen, die im subkulturellen Raum am größten ist, weiter auf den kulturellen Markt. Also nutzen un- oder unterbezahlte Kuratoren und Veranstalter ihre Kontakte, um möglichst günstige Konditionen zu Lasten der Künstler auszuhandeln.
Die Gewalt der Selbst- und Fremdausbeutung im subkulturellen Bereich wirkt damit zum einen auf die Künstler und die Kunst, indem finanzielle Bedingungen und Möglichkeiten, d.h. ökonomische, marketingstrategische und pragmatische Erwägungen, gegenüber inhaltlichen und ästhetischen Fragen dominieren. Künstler werden zur Ich-AG und so zum Modell für die Wirtschaft, wie Angela McRobbie plausibel gezeigt hat: Neoliberale Konzepte fordern, dass jeder seine eigene Kreativität leben solle - und so vom abhängigen Arbeiter zum individuellen Freiberufler werden. Die Kultur wird zur Niedriglohnbranche, ihre Arbeiter sind vorbildlich flexibel, ohne Kündigungsschutz, problemlos heute hier und morgen dort einsetzbar, integrierbar in jedwede Institution. Selbstständigkeit ist das Zauberwort - und so kommt die Forderung nach Unabhängigkeit der Kunst und der Künstler pervertiert als Boommerang zurück: "Jeder soll sein eigenes Unternehmen gründen und sein Ding durchziehen: leben und arbeiten wie ein Künstler" (McRobbie).
Gewohnt ans Multi-Tasking, weil ein einzelner Job, ein einzelnes Projekt zur Lebensfinanzierung selten ausreicht, durchdringt ein "marktwirtschaftliches Geschäftsethos" die Kulturszenen. Die dafür notwendige Schnelligkeit, die Bereitschaft auf jeden Trend unmittelbar zu reagieren, ist so verinnerlicht, dass der Druck klaglos akzeptiert und künstlerisch wie gesellschaftlich oft nicht einmal reflektiert wird. Die Funktion der freien, subkulturellen Szenen wäre es traditionell, künstlerische Strategien außerhalb der ökonomischen und ästhetischen Hegemonie zu suchen - doch es scheint, dass gerade hier die Kreativität in der Anpassung am größten ist. Sind die freien, subkulturellen Szenen längst die smarteren, wendigeren Überlebenskünstler geworden, und das Überleben ein Selbstzweck, dem künstlerische Fragen untergeordnet werden.

Unter anderen mit:
Jan Verwoert (Kunstkritiker), Felix Kubin (Musiker), Jan Holtmann ("Artgenda 2002"), Holger Steen ("88").